Eine kleine Kulturgeschichte des Bartes

Auch wenn neuerdings ein Travestie-Künstler wie Conchita Wurst als Frau mit Dreitagebart auftritt, wird sich nichts daran ändern, daß der Bart ein Attribut der Männlichkeit bleibt.

Das war schon in ältesten Zeiten so: Bei unseren Vorfahren galt der Bart als besondere Zierde des Mannes, als Ausdruck seiner Kraft und Potenz - und er hatte oft eine kultische und religiöse Bedeutung. Die Art, ihn zu tragen, variierte im Laufe der Zeit und zwischen den Völkern und Kulturen selbstverständlich erheblich, und im Allgemeinen galten von der jeweiligen Norm abweichende Barttrachten als Zeichen der Ungepflegtheit oder der Fremdheit. Heute ist der Bart vor allem ein individuelles und maskulines Statement.

 

Im Alten Ägypten trugen die Pharaonen (selbst wenn sie Frauen waren) einen Zeremonialbart als Zeichen ihrer göttlichen Macht. Der Zeremonialbart war allerdings eine künstliche Attrappe; der natürliche Bartwuchs war rasiert.

 

Die alten Griechen hatten bis zur Eroberung ihres Landes durch Alexander den Großen stattliche Bärte, die nur zur Bestrafung oder zum Zeichen der Trauer geschoren wurden. Krieger hielten ihre Bärte allerdings recht kurz, damit sich der Gegner im Kampf nicht in ihnen "verkrallen" konnte. Seit der Herrschaft der Makedonier wurde es üblich, sich zu rasieren - Männer der Oberschicht und insbesondere Philosophen trugen in der hellenistischen Zeit des spätklassischen Griechentums ihren Bart jedoch oft immer noch lang.

 

Auch die Römer rasierten sich in früheren Zeiten nicht und übernahmen diese Sitte erst von den Griechen. Scipio Africanus der Jüngere soll der erste glattrasierte Römer gewesen sein - freilich wechselten die Moden während der langen Epoche des römischen Imperiums, und Kaiser, die wie Hadrian und Marc Aurel der klassischen griechischen Kultur besonders zugetan waren, trugen den "Philosophenbart". Caligula freilich, der weniger wegen seiner Weisheit, sondern eher wegen seiner grausamen Gewaltherrschaft in die Geschichte eingegangen ist, durchwirkte seinen Bart nach der Sitte persischer Gottkönige mit Goldfäden.

Von dem bedeutenden spätrömischen Kaiser Julian Apostata, dem letzten Heiden auf dem Kaiserthron, stammt eine ironische Schrift gegen die "Barthasser".

 

Während man sich die Gallier nicht nur wegen Asterix und Obelix, sondern auch aufgrund von Skulpturen wie dem "Sterbenden Gallier" (um 230 v.Chr.) oft schnauzbärtig vorstellt, denkt man bei den Germanen meist an langbärtige wilde Gesellen. Tacitus berichtet in seiner "Germania" (nach 98 n.Chr.) von dem Brauch junger Germanen, so lange Haar und Bart wachsen zu lassen, bis sie den ersten Feind getötet hatten. Offensichtlich stand der Bart also im Zusammenhang mit kriegerischen Initiationsriten und war primär ein Zeichen jugendlicher Männlichkeit - manche Krieger, die ihr Leben einem Kriegsgott geweiht hatten und als "Weihekrieger" ein hausväterliches Dasein verschmähten, trugen Haar und Bart jedoch bis an ihr Lebensende lang; ebenso wohl auch einzelne Stämme wie die Chatten. Gefangene und Unfreie hingegen wurden meist geschoren, was sich bis ins Mittelalter und weit darüber hinaus erhalten hat, nicht zuletzt in den Klöstern der Christenheit.

 

Das Alte Testament enthält zwei Gebote über die Barttracht. In Levitikus 19, 27 heißt es (in Luthers Übersetzung): "Ihr sollt euer Haar am Haupt nicht rundherum abschneiden noch euren Bart stutzen." Dies richtet sich an alle Israeliten und ist vor allem eine Ablehnung von heidnischen Haar- und Barttrachten, die religiöse Bedeutungen hatten. Levitikus 21, 5 richtet sich nur an die Priester: "Sie sollen auch keine Glatze scheren auf ihrem Haupt noch ihren Bart stutzen und an ihrem Leib kein Mal einschneiden." Auch hier ist der Hintergrund die Modifikation des Körpers im Kult der Heiden der damaligen Zeit.

Ausgehend von diesen Versen haben sich im Judentum verschiedene Interpretationen herausgebildet, inwiefern sich ein frommer Jude rasieren darf. Besonders orthodoxe Juden tragen lange Vollbärte und Schläfenlocken.

 

Das Christentum kennt trotz dieser alttestamentlichen Bestimmungen keine eindeutige Barttracht, sondern diese wandelte sich mit der Zeit. Im 12. Jahrhundert verfaßte Burchardus, der Abt des Zisterzienserklosters Bellevaux in der Fanche-Comté, eine ausführliche Abhandlung über Bärte, die sich an die zisterziensischen Laienbrüder richtete. Nach Auffassung des Autors waren Bärte für die ungebildeten, in der Landwirtschaft tätigen Laienbrüder angemessen, nicht aber für die Priestermönche. Während der katholische Klerus bis heute überwiegend glattrasiert ist, tragen protestantische Gläubige eher Bärte, etwa die Amischen, bei denen unter verheirateten Männern eine sogenannte Fischerkrause üblich ist: ein Vollbart, bei dem der Bart über der Oberlippe und im oberen Wangenbereich rasiert ist.

Im Koran gibt es keine Anweisung, wie der Bart zu tragen ist - viele Muslime folgen aber einigen Hadithen, also außerkoranischen Überlieferungen der Propheten und der Sahaba, die einen Bart vorschreiben, der unterhalb des Kinns Faustlänge haben soll, während der Oberlippenbart zu kürzen ist. Bekanntlich bringen strenggläubige Muslime heute ihren Glauben gerne durch einen langen Bart zum Ausdruck.

 

Nach dem Ende des Mittelalters wurde der Bart in Europa immer mehr zu einer der Mode unterworfenen ästhetischen Größe; die Mode war jedoch noch keine rein kommerzielle Angelegenheit, sondern ging vom Herrscherhof aus. So etablierte der französische "Sonnenkönig" Ludwig XIV. die Glattrasur als Standard, dem auch der Preußenkönig Friedrich der Große folgte, während Heinrich IV. den nach ihm benannten Bart (um den Mund herum, aber mit rasierten Wangen) popularisierte.

 

Einen Höhepunkt erlebte der Bart im 19. Jahrhundert. In der Zeit der Revolutionen von 1789 bis 1848 war er zu einem Zeichen der Volksnähe, aber auch des Radikalismus geworden. Intellektuelle trugen ihn als Zeichen ihrer gesellschaftskritischen und revolutionären Gesinnung - klassische Beispiele sind natürlich Karl Marx und Friedrich Engels, aber auch Friedrich Nietzsche, dessen monumentaler Schnauzer seinen Mund völlig bedeckte. Ende des 19. Jahrhunderts trugen gesetzte bürgerliche und adlige Herren oft einen voluminösen Backenbart wie der österreichische Kaiser Franz Joseph, während jüngere, "modern" gesinnte Männer zunehmend den gezwirbelten Schnurrbart Kaiser Wilhelms II. bevorzugten. Der Bart war immer auch eine politische Stellungnahme und brachte Ablehnung der herrschenden Ordnung oder Loyalität zur Monarchie zum Ausdruck. In Heinrich Manns Roman "Der Untertan" trägt der Protagonist daher den wilhelminischen "Es-ist-erreicht"-Schnurrbart.

 

Der Erste Weltkrieg brachte eine radikale Wende zur Bartlosigkeit. Seitdem Giftgas eingesetzt werden konnte, wurde die Glattrasur vorgeschrieben, um die Wirkung der Gasmasken nicht zu beeinträchtigen. Etwa zur selben Zeit vereinfachte und verbilligte sich die Rasur durch die Erfindung des Rasierhobels durch King Camp Gilette im Jahre 1901. Da es vorwiegend jüngere Männer waren, die zum Krieg eingezogen wurden (und bald der Zweite Weltkrieg folgte), setzte sich die - bis in die jüngste Vergangenheit vorherrschende - Anschauung durch, daß Bärte eine Sache älterer Männer wären. Bartlosigkeit galt als jugendlich, praktisch und sportlich.

 

Dies änderte sich mit dem Aufkommen der Gegenkulturen der Hippies und Beatniks seit den 1960er Jahren, die den Bart zu einem Zeichen der Unangepaßtheit und des Querdenkertums machten. Ihr Interesse an außerchristlichen Religionen - insbesondere an solchen, die dem indischen Kulturkreis entstammen - hat zur antibürgerlichen Bartmode beigetragen. Auch Ökologen haben, lange bevor die Partei der Grünen gegründet wurde (in der heute eher die Bartlosigkeit älterer Frauen vorherrscht), ihre naturverbundene Haltung durch das Tragen eines Bartes zum Ausdruck gebracht, schon seit der Lebensreformbewegung der 1920er Jahre.

 

Anfang der 1980er Jahre wurde der längere Bart bei jungen Männern wieder seltener, dafür kam jedoch als neues modisches Accessoire der Dreitagebart auf, der zunächst vor allem von Schauspielern und Sängern getragen wurde. Seitdem gilt er, insbesondere wenn er akkurat getrimmt ist, als männlich und sexy.

Der Popkultur der 90er Jahre verdanken wir die Erfindung zahlreicher neuer Bart-Trachten, etwa den Ziegenbart ("Goatie") in mannigfacher Breite und Länge, ein zeitweiliges Revival der Koteletten, wie man sie in den 70er Jahren gerne trug, das Soul-Patch (ein Minibärtchen unterhalb der Unterlippe) und das sogenannte "Bart-Tattoo", bei dem man sich - einen dichten und eher dunklen Bartwuchs vorausgesetzt - allerlei Muster in den kurzgehaltenen Bart rasiert. Und seit der Jahrtausendwende - in den letzten Jahren verstärkt - ist unter jungen Männern, unabhängig von einer eventuellen religiösen Haltung, ein neuer Trend zum - oft möglichst stattlichen - Vollbart zu beobachten.

 

Sicher ist auch diese neue Tendenz der Mode unterworfen und folgt dem Vorbild bekannter Filmstars wie George Clooney oder Brad Pitt, jedoch kann man in ihr auch eine Rückbesinnung auf das Ideal einer "ungezähmten Männlichkeit" erkennen. Je mehr Politik, Massenmedien und manche Lobby-Gruppen das Bild eines geschlechtsneutralen oder "metrosexuellen" Mannes propagieren, desto deutlicher wollen viele Menschen ihr Recht auf Natur und natürliches Aussehen deutlich machen - und dazu gehört für viele Männer der Bart.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bartkultur

Dr. Carsten Müller

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